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Neue Bürokratiehürde bei der Innovationsförderung

Berlin, 11. Juni 2024: Seit Monaten beteuert Wirtschaftsminister Habeck angesichts schrumpfender internationaler Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen mantraartig, er wolle den Bürokratie-Dschungel lichten „und es den Unternehmerinnen und Unternehmern leichter machen“. Sein eigenes Ministerium tut indes das Gegenteil: Beim wichtigsten Förderinstrument des Bundes für Forschung und Entwicklung im Mittelstand habe es gerade eine gravierende Zugangshürde implantiert, beklagt ein bundesweiter Zusammenschluss innovationsorientierter Unternehmen.


Die Rede ist von der „Anlage 6.4 a“, die fortan bei jedem Antrag eines Unternehmens auf Fördermittel aus dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Wirtschaftsministeriums zusätzlich auszufüllen ist*. Zur Berechnung der Höhe staatlicher Unterstützung für risikoreiche Neuentwicklungen müssen darin eine Vielzahl vorab detailliert kalkulierter Kostenblöcke des geplanten Vorhabens aufgelistet werden.


Gravierender Mehraufwand

Seit dem ZIM-Programmstart 2008 waren die Fördermittel auf Basis der Personalkosten der Projektbeteiligten berechnet worden; eine darauf bezogene zusätzliche Pauschale deckte alle anderen Ausgaben für das Vorhaben. Das sicherte einen unbürokratischen Zugang zum Programm. Und ist nun Geschichte. Denn neben den Lohnkosten haben Antragsteller fortan auch jene für Instrumente und Ausrüstung, Immobilien oder Auftragsforschung durch Dritte genau auszuweisen. Unter den Einzelposten finden sich etwa Gerätemieten, Bagatellanschaffungen, Gebäude-Wertverluste, Kapitalkosten für Grundstücke und sogar Lohnfortzahlungen bei Krankheit – im Voraus auf die Projektlaufzeit von meist drei bis vier Jahren.

Nach Projektende werden die Zahlen dann genau geprüft; bei Abweichungen müssen längst ausgegebene Mittel zurückgezahlt werden. Das Ministerium hat solche Zahlungen offenbar in Größenordnungen zur Programmfinanzierung fest eingeplant, denn: Einnahmen aus Rückforderungen ausgezahlter Zuwendungen im ZIM „fließen den Ausgaben zu“, steht im aktuellen Bundeshaushaltsplan 2024.


Unternehmen werden abgeschreckt

Wie gerade kleine Firmen ohne personell starke Finanzabteilung den kalkulatorischen Aufwand neben dem Tagesgeschäft prüfungssicher bewältigen sollen, erklärt das Ministerium nicht. Das 2023 in München gegründete Start-up Deutsches Institut für Management & Innovation GmbH etwa hat bislang nur wenige Mitarbeiter. Der Geschäftsführer des Unternehmens mit Schwerpunkt neue digitale Produkte, Michael Krause, ist aus seinem beruflichen Vorleben mit dem ZIM vertraut. Er spricht von einer „speziell für junge Firmen extrem schwierigen Situation“. Der bürokratische Mehraufwand wirke verunsichernd und schrecke Unternehmen auch aus seinem Umfeld ab, einen Förderantrag zu stellen.


Ein Rückgang der Nachfrage mit Folgen für das Innovationsgeschehen scheint vorprogrammiert. So berichtet etwa Hans-Joachim Münch, langjährig Chef eines international führenden Herstellers von Ultraschall-Messtechnik in Halle (Saale), dass sein eigenes Unternehmen wie auch Industriepartner erwägen, das ZIM in dieser Form nicht mehr zu nutzen. „Die niedrigschwellige Innovationsförderung des Bundes hat sich sehr bewährt und hat auch uns aus eigener Kraft nicht leistbare Forschung sowie mehrere Neuentwicklungen ermöglicht“, sagt er. Die nun entstandenen Risiken, die gravierende Planungsunsicherheit und ausufernde Bürokratielast hätten die Praxistauglichkeit des Programms aber drastisch gemindert: „Das ehemals in Europa einmalige, vorbildliche Programm wurde für Unternehmen in den letzten Jahren immer ungünstiger“, so Münch.


Statt Vereinfachung nur Nachteile

Zur Begründung der Neuerung verweist das Ministerium auf Vorgaben der „Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung“ (AGVO) aus Brüssel. Nach Vorstellung der EU-Technokraten sollen darüber mehr Unternehmen einfacher höhere Beträge aus öffentlichen Kassen gerade auch für Forschung und Entwicklung erhalten. In Deutschland trete aber das Gegenteil ein, klagt der Verband Innovativer Unternehmen (VIU), der sich seit Jahrzehnten für die Belange forschender und entwickelnder kleinerer Mittelständler engagiert. „Insgesamt bringt die neue Regelung nur Nachteile für unsere Unternehmen“, sagt der VIU-Vorstandsvorsitzende Dr. Uwe Möhring, Vize-Chef eines ebenfalls betroffenen Industrieforschungsinstituts in Jena. Bei der Innovationsförderung erwiesen sich die Beteuerungen des Ministers zum Bürokratieabbau als „leere Versprechen“.


Seit Jahren Abfolge von Problemen

Nicht nur die AGVO bringt das ZIM in Misskredit. In den letzten drei Jahren gab es beim Programm immer wieder plötzliche Blockaden: Erst verhängte das Wirtschaftsministerium 2020 unerwartet eine fast ein Jahr andauernde Antragssperre, verfügte dann eine zeitweise drastische Kürzung der möglichen Antragszahl je Unternehmen. Hinzu kam unlängst ein überraschender Bewilligungsstopp wegen der Haushaltssperre im Bund. Forschung und Entwicklung könne man aber nicht „wie einen Wasserhahn auf- und zudrehen“, heißt es beim VIU: „Dann sind die Entwicklungsingenieure weg, und ihr Know-how ist für die Firmen verloren.“

Obendrein sahen sich bundesweit etliche der häufig in Projekte einbezogenen Branchen-Industrieforschungsinstitute über fast zwei Jahre wegen einer ministeriellen Beamtenposse um Gehaltsfragen in ihrer Existenz bedroht.


Gekürzte Mittel, wachsender Frust

Wiederkehrend verunsicherten zudem Gerüchte um drohende Mittelkürzungen beim ZIM. Seit 2020 hatte das Wirtschaftsministerium nach eigenen Angaben** für über 11.500 Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mehr als 2,1 Milliarden Euro bewilligt. 2023 lag der Programmetat noch bei rund 700 Millionen. Für das laufende Jahr sind ungeachtet der Inflation nun im Bundeshaushalt nur noch 628 Mio. geplant. Und parallel zu dieser Kürzung steigen die Personal- und Materialkosten in den Unternehmen weiter. Die fühlen sich zunehmend allein gelassen, beklagen Desinteresse der Politik an den Sorgen des Mittelstands jenseits von Wasserstoff & Solar.


Im September hatten zahlreiche Firmenchefs Habeck bereits einen Brandbrief geschrieben. Der habe aber nichts gebracht, heißt es beim VIU. Nun auch noch das Formular 6.4 a. Der Frust steigt. „Kleine und mittlere Betriebe können nicht einfach ins Ausland abwandern“, sagt Uwe Möhring. „Wir fürchten, dass sie stattdessen künftig weniger Geld und Kraft in risiko- aber eben auch chancenreiche Neuentwicklungen stecken – und damit ihre Zukunft gefährden.“


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